Rede zur Ausstellungseröffnung am 29.4.2022
in der Stadtgalerie Freilassing

Guten Abend meine Damen und Herrn ... manche würden jetzt sagen – und was ist mit den Diversen, Nicht-binären usw.?


Es fällt leicht heutzutage, in eine Genderfalle zu geraten, sich politisch unkorrekt zu äußern - und es fällt leicht sich darüber zu mokieren, solange man nicht zu einer diskriminierten Minderheit gehört. Auch wenn man den Titel dieser Ausstellung, „Die Erfindung des afrikanischen Tafelbildes“ zum ersten Mal hört, könnte man dies ganze Vorhaben Wolfgang Brunners als politisch gänzlich unkorrekt interpretieren: Da eignet sich (und ich zitiere hier Wolfgang persönlich) ein „alter weißer Mann“ afrikanische Kunst an, behauptet sogar, sie neu zu erfinden, verkauft sie anschließend noch – und schlägt vielleicht Kapital aus dem künstlerischen Erbe eines (besonders in unserer jetzigen Zeit) oft vergessenen Kontinents.


Aber Brunner geht es mit dieser Ausstellung um etwas anderes – er hat hier Anliegen - und darüber möchte ich heute sprechen. Was ist Kunst? Was will Kunst? L´art pour l´art – Kunst genügt sich selbst? Steht für sich selbst? Braucht damit auch nicht hinterfragt zu werden? Hat sie denn keinen Auftrag? Fühlen wir uns beim Hören einer Beethovensymphonie nicht erhaben – soll sie uns also „erheben“? Und wenn ja wohin? Und macht uns dieses Erheben dann zu bessern Menschen? Wohl kaum, wenn man an die NS-Zeit mit ihrer Liebe zu den „großen Deutschen“ Bach, Beethoven, Hayden ... denkt. Oder ist sie vielleicht unverzichtbarer Teil unseres neoliberalen Geldbeschaffungssystems? Und was ist mit den Werken der Künstler, die Ihr Oeuvre verbergen, nicht gesehen/entdeckt werden, nicht für die Öffentlichkeit bereitstellen oder, von den Einnahmen daraus, bei weitem nicht leben können? Haben die dann überhaupt eine Berechtigung?


Als sich Wolfgang und ich vor einem guten halben Jahr, bei einigen Bieren in der Laufener Braukuchl zum ersten Mal über seine neuen Bilder unterhielten, erzählte er mir (und vor 3 Wochen noch einmal, denn das erste Gespräch war so hochintellektuell geworden (insbesondere nach dem zweiten Bier) dass ich mich nicht mehr an alle philosophischen Ergüsse, die wir damals getätigt hatten, erinnern konnte) – erzählte er mir also noch einmal, wie er zu diesem Thema gekommen war.


Seit 2002 war Brunner achtmal im südlichen Afrika gewesen. Angefangen hatte er in Namibia mit Aquarellen – selbstverständlich keinen Wiedergaben der Topographie sondern, wie könnte man es auch anders erwarten, wenn man sein bisheriges Werk kennt, Ausschnitten daraus – aus der Sicht des weißen, westlich akademisierten, geschulten, alten Mannes. In der späteren Auseinandersetzung mit diesen Aquarellen – und im Nachdenken über die Unterschiede der europäisch geprägten Kunst und der afrikanischen Volkskunst (und hier sind nicht die für die Touristen gefertigten Giraffen, Elefanten und Krokodile gemeint) kamen die Zweifel – die ja häufig den Anstoß geben zu Veränderung und Weiterentwicklung. Kann sich denn der erwähnte „alte weiße Mann“, dessen Blick stets durch die westliche Sicht des geschulten Bildungsbürgers gebrochen ist, überhaupt der afrikanischen Kunst annähern? Ist ein Verständnis dieser überhaupt möglich? Denn dass er sie nicht so wahrnehmen kann wie ein in diesem Kulturkreis geborener, aufgewachsener, verwurzelter ist wohl selbstverständlich.


„Wie?“ „Wieso?“ „Warum?“ Wir haben es doch geschafft, uns die Erde untertan zu machen, können mit unserer Logik, unserer Ratio alles zergliedern und damit verstehen... Und dies gilt insbesondere für das „moderne“ Europa, das vielleicht mit Decartes „cogito ergo sum“ beginnt, vielleicht aber auch schon früher mit der griechischen Naturphilosophie. Fortgeführt, nach dem „dunklen, christlich geprägten Mittelalter“ , durch die Astronomen und Mathematiker wie Kopernikus, Galilei und Kepler, die der Menschheit die erste große Kränkung zufügten – mit ihrer Erkenntnis, dass wir beileibe nicht der Mittelpunkt des Schöpfung sind sondern auf einem kleinen, wohl eher unbedeutenden Planeten am Rand unserer Galaxis mit ihren hunderten Milliarden Sternen leben. Aber genau dies Zergliedern scheint hier ein Problem zu sein. Man denke an unsere jungpaläolithischen Vorfahren in Lascaux, die Ägypter, die alten Römer. Schon diese europäischen und um das Mittelmeer herum lebenden „alten Künstler“ haben auf ihren Bildträgern fast immer die gesehene Wirklichkeit dargestellt. Teilweise fotografisch genau, meist erzählend. Und wenn sie denn Figuren darstellten, die so nicht in ihrer Realität vorkamen, dann waren sie häufig zusammengesetzt aus gesehenen Versatzstücken: Götter mit Ibisköpfen, Sphinxe mit Löwenkörper, Falkenflügeln und einem Frauengesicht, geschmückte Delfine; die allegorischen Gestalten eines Hieronymus Bosch ... (und erst im 20 Jahrhundert trauten sich die Künstler, Klee, Mondrian .... Kunst neu zu denken und umzusetzen).


Und im südlichen Afrika? Meist Skulpturen, immer aus geometrischen Grundformen zusammengesetzt - nie Abbild sondern immer Ideal, Idol, Sinnbild, magisch-mythisch. Hier treffen ganz unterschiedliche Wahrnehmungsarten aufeinander. Woher kommt diese unterschiedliche Sicht auf die Realität? Wobei man „Realität“ vielleicht eher Wirklichkeit nennen sollte. Denn Realität ist objektiv, nachprüfbar und unanfechtbar (und wie wir inzwischen wissen, können wir Menschen nur einen verschwindend geringen Teil dieser Realität überhaupt mit unseren Sinnen erfassen - und noch viel weniger davon wirklich verstehen). Dagegen ist die Wirklichkeit immer durch unseren subjektiven Blick geprägt, durch unsere Herkunft, Geschichte, das was wir gelernt, gelesen vor allem aber erfahren haben. Wenn wir hier konsequent sind, müssen wir uns eingestehen, die Realität nie verstehen zu können – sondern nur unsere eigenen Wirklichkeit, also unsere Interpretation der Realität. Fast schon Brigitte-Psychologie scheint es zu sein, wenn man diesen Unterschied in der Weltbetrachtung auf die Lebensumstände zurückführt. Aber könnte es nicht sein (trotz Brigitte, schlägt Wolfgang vor), dass die klimatisch oder geographisch bedingte Notwendigkeit der Vorratshaltung, des sich Sorgen-müssens um den nächsten Winter, uns Nordlichter zu vorausschauenden, analytischen, besorgten Menschen macht, die viel in der Vergangenheit und der Zukunft leben. Und dass die „paradiesische“ Bereitstellung von Nahrungsmitteln über das ganze Jahr hinweg ein Leben im Augenblick befördert, Zeit gibt zum Wahrnehmen, in sich Hineinfühlen, sich im All-Ganzen geborgen fühlen können. Dass dadurch das reale Bild gar nicht benötigt wird? Vielleicht sogar hinderlich wäre?


Natürlich müsste man diese Idee durch Untersuchungen in Südost-Asien, in Mittelamerika einerseits und in Sibirien und Kanada andererseits zu verifizieren suchen. Und vielleicht regt sich auch unter Ihnen jetzt sofort Widerspruch (ausgearbeitete Widerlegungen gerne an mich oder Wolfgang per mail ...) Aber: diese Idee des Aufeinanderprallens der rational-dualistischen „modernwestlichen“ Lebensart – und der des magisch-mythischen Eingebundenseins in der Zone zwischen den Wendekreisen (bzw. knapp südlich von diesen) hat Brunner nicht losgelassen. Hier die Vorstellungen des im Westen zivilisierten Malers Brunner, persönlich seit 40 Jahren der Bildfläche verbunden, meist Ausschnitte malend, Nudeln in Nahaufnahme, Eierkartons, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit verfremdet - und nun die selbstgestellte Herausforderung, eine Bildsprache für real nicht vorhandene Bilderwelten für sich neu zu finden. Kurz: das afrikanische Tafelbild zu erfinden. Ganz bewusst hat sich Brunner bei der Annäherung an diese Aufgabe bei der Wahl der Materialien soweit wie möglich reduziert. Statt Leinwand – Pappkartons, mit Packpapier überzogen. Kleister, bekannterweise aus Mehl und Wasser bestehend. Als Farben Bister (aus Ruß), Sepia (wenn auch inzwischen nicht mehr aus der Tinte der Kopffüßer gewonnen) und sonst nur noch das nötige Acryl. Und das Ganze mit Holzlatten auf der Rückseite verstärkt - so dass dann doch eine gewisse Dreidimensionalität zu ahnen ist. Wie sollte er aber nun zu dieser fremden mythisch-zauberischen afrikanischen Wirklichkeit gelangen, die nie die Realität darstellt? Wie, als westlich geborener, geschulter, gelebter „Nachzeichner“, natürlich Interpret dieser Realität eine Bildsprache entwickeln, die dem afrikanischen „Nicht-Nachahmen“ gerecht wird und doch das eigene Erbe nicht verleugnet.  Entwicklung, Evolution, Fortschritt richtig verstanden bedeutet ja stets, das Neue mit dem Alten zu verbinden, nicht Überwindung, Abspaltung des Alten sondern Integration - womit ein komplexerer Zustand erreicht werden kann. Und hier darf nun endlich der Physiklehrer in mir zu Wort kommen, der weiß – naja, zu wissen glaubt, dass wir, umgeben von einer schieren Unendlichkeit unterschiedlicher Schwingungen, von denen wir nur die des Schalls und die des für uns sichtbaren Lichtes durch unsere Sinne wahrnehmen können, also nur einen verschwindend geringen Teil der Realitäten in unserem Universum - der zu wissen glaubt, dass alles weiter Erfahrbare auf Resonanz beruht.


Eines von Brunners Zielen könnte also sein, in seinen Tafelbildern diesen afrikanischen Geist als „Schwingung“ erfahrbar zu machen, Resonanz zu ermöglichen, Resonanz, zwischen den Bildern und Ihnen, den Betrachtern. Das erfordert aber von Ihnen ein Herangehen an diese Bilder, ein Betrachten, das in unserer Welt des schnellen Ansehens, Erfassens und Beurteilens vielleicht verlernt worden ist. Vielleicht ist es in dieser Ausstellung sinnvoll, nicht an diesen hundert Bildern vorbeizulaufen und sich schnell den Häppchen und dem Prosecco zu nähern. (Und vielleicht nicht nur in dieser Ausstellung, sondern überhaupt in unserem Leben). Sondern sich vielleicht nur wenigen Bildern, oder gar nur einem auf andere Art zu nähern. Nämlich es zu betrachten, sich auf sein „Schwingungen“ einzulassen, zu erspüren versuchen, ob etwas in Ihnen in Resonanz gerät, eine Empfindung erzeugt, zu klingen beginnt. Achtsam könnte man das nennen. Dann wäre dies der erste Schritt zu einer Vereinigung des magisch-mythischen mit dem rational-mystisch-pluralen Weltbild, ja eine Weiterentwicklung eine Evolution von uns Menschen zum wirklichen homo sapiens, zum „weisen Menschen“ - den wir ja, wie uns die heutige Zeit deutlich vor Augen führt, dringend benötigen.


Ich wünsche Ihnen für diese Ausstellung Erstaunen, Verstehen, Mut zur Muße, Achtsamkeit, Freude – ja und vielleicht ein bisserl Mitschwingen mit dem, was Wolfgang Brunner in seine Tafelbilder hineingeschwungen hat.

Wie gesagt: einen schönen Abend meine Damen, meine Herrn und.... Nein: - einen schönen Abend uns allen!


Florian Gerhaher